top of page
Wohlfuehlexperte2.png

Zwischen Freiheit und Druck – Warum psychosoziale Nähe Jugendlichen wirklich hilft

Jugendliche von heute wachsen in einer Welt auf, die ihnen scheinbar alle Möglichkeiten bietet. Sie können reisen, haben Zugang zu modernster Technik, dürfen sich in sozialen Netzwerken präsentieren und werden oft als die „verwöhnte Generation“ bezeichnet. Viele Erwachsene blicken mit einer Mischung aus Verwunderung und Unverständnis auf die Jugend: „Die haben doch alles, warum sind sie dann so gestresst?“


Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich eine ganz andere Realität. Jugendliche stehen unter einem enormen Druck – und dieser Druck kommt aus vielen Richtungen: von Eltern, von Lehrkräften, von Gleichaltrigen und vor allem von sich selbst. Sie sollen sich früh entscheiden, welche berufliche Richtung sie einschlagen. Sie sollen Leistung bringen, aber gleichzeitig ihr Leben genießen. Sie sollen sich in einer Welt zurechtfinden, die ihnen einerseits endlose Möglichkeiten verspricht und andererseits immer neue Anforderungen stellt.


Die unsichtbare Last – Was Jugendliche wirklich beschäftigt


Viele Erwachsene verbinden das Jugendalter mit Freiheit und unbeschwertem Leben. Doch was oft übersehen wird: Freiheit ist nur dann wertvoll, wenn sie mit innerer Stabilität verbunden ist. Wenn alles möglich scheint, ist es schwerer, sich für etwas zu entscheiden. Jugendliche sind ständig mit Fragen konfrontiert wie:


  • Wer bin ich und wer möchte ich sein?

  • Was wird von mir erwartet und kann ich diesen Erwartungen gerecht werden?

  • Welche Ausbildung oder welchen Beruf soll ich wählen, damit ich auch in Zukunft glücklich bin?

  • Was, wenn ich scheitere?


Diese Fragen allein wären schon herausfordernd genug, doch hinzu kommt der ständige Vergleich mit anderen. Soziale Medien vermitteln ein verzerrtes Bild von Erfolg, Schönheit und Lebensglück. Während früher der Druck vor allem in Schule und Familie stattfand, gibt es heute kaum mehr einen Moment der Entspannung, weil Jugendliche ständig mit den vermeintlichen Erfolgen anderer konfrontiert sind.


Hinzu kommt, dass Jugendliche in einer Gesellschaft leben, die den Wert von Arbeit und Leistung oft anders vermittelt als frühere Generationen. Freizeit wird als höchstes Gut angesehen, doch viele Jugendliche erleben sie gar nicht als entspannend, weil sie sich innerlich nicht genug fühlen. Wie kann ich Freizeit genießen, wenn ich das Gefühl habe, nicht genug geleistet zu haben? Diese Diskrepanz führt dazu, dass viele Jugendliche rastlos sind und ihre Erholung nicht wirklich als solche empfinden.


Psychosoziale Nähe als Schlüssel zur Entlastung


In diesem Spannungsfeld zwischen hohen Erwartungen und Unsicherheit spielt psychosoziale Nähe eine entscheidende Rolle. Was bedeutet das konkret? Es geht darum, dass Jugendliche sich verstanden fühlen – nicht als Leistungsträger, sondern als Menschen mit all ihren Sorgen, Ängsten und Hoffnungen. Psychosoziale Nähe kann in vielen Formen stattfinden:


  • Durch Bezugspersonen, die nicht nur Leistung bewerten, sondern Interesse am Menschen zeigen. Ein Lehrmeister, eine Lehrerin oder ein Ausbilder, der nicht nur fragt, wie die Noten sind, sondern auch, wie es emotional geht, kann einen enormen Unterschied machen.

  • Durch Eltern, die sich nicht nur für Erfolge interessieren, sondern auch für Zweifel und Misserfolge. Nicht nur loben, wenn es eine gute Note gibt, sondern auch da sein, wenn etwas nicht funktioniert.

  • Durch ein Umfeld, das Fehler nicht als Makel, sondern als Lernmöglichkeit begreift. Wenn Jugendliche wissen, dass sie nicht perfekt sein müssen, fällt es ihnen leichter, Herausforderungen anzunehmen.


Wie können wir das gestalten?


  1. Raum für echte Gespräche schaffen: Oft fragen wir Jugendliche: „Wie war dein Tag?“ – und bekommen eine knappe Antwort. Stattdessen könnten wir fragen: „Was hat dich heute beschäftigt?“ oder „Gab es etwas, das dich gefreut oder gestresst hat?“ Psychosoziale Nähe entsteht, wenn wir bereit sind, wirklich zuzuhören.

  2. Verantwortung statt Überforderung: Jugendliche wollen ernst genommen werden. Doch das bedeutet nicht, sie mit Entscheidungen zu überfordern, sondern sie schrittweise in Verantwortung hineinwachsen zu lassen. Ein Jugendlicher, der erlebt, dass seine Meinung zählt und dass er etwas bewegen kann, fühlt sich weniger ausgeliefert.

  3. Arbeit und Freizeit in Balance bringen: Freizeit macht nur dann wirklich Spaß, wenn man zuvor etwas geleistet hat. Doch was ist „genug“? Statt Jugendliche zu ermahnen, sie sollten „mehr tun“, wäre es hilfreicher, ihnen zu zeigen, wie erfüllend es sein kann, eine Aufgabe abzuschließen. Wenn ein Jugendlicher erlebt, dass er mit seinem Einsatz etwas bewirken kann, wächst auch die Freude an der Erholung danach.

  4. Die Angst vor Fehlern nehmen: Einer der größten Stressfaktoren für Jugendliche ist die Angst, zu scheitern. Doch genau hier könnte psychosoziale Nähe ansetzen: durch Vorbilder, die offen über ihre eigenen Fehler sprechen. Wenn Erwachsene zugeben, dass sie auch nicht alles wussten und ausprobiert haben, bevor sie ihren Weg fanden, nehmen sie Jugendlichen die Angst davor, selbst Fehler zu machen.


Müssen wir Arbeit und Freizeit trennen?


Eine wichtige Frage ist, ob Arbeit und Freizeit als Gegensätze betrachtet werden müssen oder ob sie ineinandergreifen können. In vielen Kulturen gibt es das Konzept, dass Arbeit nicht nur eine Pflicht, sondern auch eine Quelle der Freude sein kann. Vielleicht liegt hier ein Teil der Lösung: Wenn Jugendliche erleben, dass Arbeit nicht nur bedeutet, Leistung zu bringen, sondern auch etwas Sinnvolles zu tun, dann wird der Übergang zur Freizeit fließender.


Das bedeutet nicht, dass sie nur noch „produktive“ Freizeit haben sollen – Erholung bleibt wichtig. Aber vielleicht könnte das Bewusstsein gestärkt werden, dass wahre Entspannung nicht aus ständiger Ablenkung, sondern aus dem Gefühl kommt, einen Beitrag geleistet zu haben.


Jugendliche haben heute mehr Möglichkeiten als je zuvor, doch gleichzeitig stehen sie unter großem Druck. Viele fühlen sich in einem Spannungsfeld zwischen Erwartung und Überforderung gefangen. Psychosoziale Nähe kann helfen, diesen Druck zu mindern – nicht durch noch mehr Ratschläge, sondern durch echtes Interesse und ehrliche Gespräche. Wenn wir Jugendlichen das Gefühl geben, dass sie nicht allein sind, dass Fehler erlaubt sind und dass Arbeit auch erfüllend sein kann, dann ermöglichen wir ihnen, ein wirklich freies Leben zu führen – nicht nur in der Freizeit, sondern auch im Alltag.


Comments


bottom of page